Herbsturlaub am Großglockner


Es waren Herbstferien, die ersten Ferien unserer seit diesem Jahr schulpflichtigen Tochter. Unsere Kinder waren noch nie in den Bergen. Das sollte nicht so bleiben und daher haben wir unsere Sachen gepackt und sind nach Österreich in die Berge gefahren. Was ich im Urlaub noch nie erlebt hatte war, dass ein Panoramabild unsere Unterkunft – eine hübsche Almhütte – alle 15 Minuten von einer Webcam fotografiert wurde.

Derzeit ist ja die Überwachung des Internets durch die NSA in aller Köpfe. Jedoch wird viel zu wenig dagegen getan und viel zu wenig über die unerlaubte Sammlung und Auswertung unserer Daten demokratisch debattiert, wie wieder kürzlich und besonders anschaulich von Sascha Lobo in Hannover beklagt wurde (sehenswerter Videomitschnitt vom NDR, auch im Kontext der Folgen von Datenverwertung für die Zivilbevölkerung). Die totale Überwachung der Daten aller Menschen im Internet durch Geheimdienste bringt eine schleichende Veränderung der Gesellschaft und geänderte Verhaltensweisen von Individuen mit sich. Dadurch dass man weiß, dass man ständig beobachtet wird, passt man rational sein Verhalten diesem Umstand an, auch wenn man “nichts zu verbergen hat”. Denn man weiss nie, ob in einem bestimmten Kontext eine Handlung von Maschinen oder Analysten falsch interpretiert wird und Folgen für einen haben könnte. In Sascha Lobos Vortrag zum Zustand der digitalen Sphäre wird z.B. der Fall überlegt, ob beispielsweise eine kritische Meinungsäußerung auf Facebook über Außenpolitik von Obama, Einreiseprobleme bei der demnächst bevorstehenden, wichtigen Geschäftsreise in die USA mit sich bringen könnte. Entsprechend würde man sich also höchstwahrscheinlich entscheiden, seine Meinungsäußerung zurück zu halten und sich selbst zu zensieren. DDR-Erfahrene können davon ein Lied singen. An sich ist einem das Prinzip des Panopticons ja klar. Doch die Überwachung des Internets ist so allumfassend und gleichzeitig so abstrakt, dass sie für viele Bürger schwer nachvollziehbar ist. Was soll das denn mit einem selber zu tun haben? Saschas Vortrag beantwortet diese Frage sehr eindringlich.

So eine Webcam, die alle 15 Minuten ein Bild veröffentlicht, ist selbst verständlich nicht vergleichbar mit der Überwachungsesoterik unserer Geheimdienste. Aber sie ist konkret nachvollziehbar und tatsächlich war ich mir den ganzen Urlaub darüber bewußt, dass ich zufällig oder beabsichtigt gerade im Ausschnitt der Webcam herumurlaubte, wenn diese sich selbst auslöste. Ich habe mich also im Urlaub gedanklich eingehender und am eigenen Leib oberflächlich mit Überwachung beschäftigt.

Und hier kommt nun eine Auswahl an automatischen Urlaubsbildern, ganz im Sinne des Automatismus vom Gehirn und von der Hand befreit. So war’s in Osttirol am Fuße des Großglockners im Herbst 2014:

 

Ankunft auf der Luckneralm am Montag, 20.10. gegen 16:30 Uhr am Fuße des Großglockner, der mit einer Höhe von 3798 Metern der höchste Berg Österreichs ist. Der Berg begrüßt uns in voller Pracht in der Abendsonne. Auf dem Foto der Webcam bin ich zu sehen, wie ich gerade zum Auto gehe, um eine weitere Reisetasche zu holen.

 

Dort unten mittig der Helle Fleck, das sind wir, wie wir in der Küche der Hütte sitzen und Abendbrot essen. Die Luckneralm liegt auf ca. 1920 Metern Höhe, ist urig schön und mit angemessener Modernität ausgestattet. Dusche und Kühlschrank sind vorhanden, genau so wie ein Holzofen zum Heizen und Kochen. Ich habe in der Nacht herrlich geschlafen. So ein Holzofen macht ja auch eine wohlige Wärme.

 

21.10. – Am nächsten Morgen liegt die Spitze des Großglöckners in Wolken. Kaffee vor dem Haus und dazu die Sonne, die langsam über den gegenüber liegenden Berggipfel hervor kommt und die Alm bescheint. Wir tollen ein bisschen herum und erkunden die nähere Umgebung. Es gibt einen kleinen Abenteuerspielplatz und wir schmeißen Steinchen in den Ködnitzbach.

 

Nach dem Mittagessen – es gab lecker Kürbissuppe – machen wir uns zum Aufstieg zur Lucknerhütte (Höhe: 2241 m). Tatsächlich schaffen wir es. Der Kleine jammerte schon nach 5 Metern, dass ihm die Beine wehtun würden, die Große hingegen wandert oft voraus, findet die Berge toll, “wie bei Heidi”. Sonne satt. Und überhaupt diese Perspektive: man läuft und läuft aber die Berge links und rechts neben mir scheinen sich perspektivisch kaum zu bewegen; ungewohnt. Oben an der Hütte, die in der Zwischensaison geschlossen ist, Picknick mit Klappstullis. Auf dem Bild einer anderen Webcam zeige ich den Kindern (rote Flecken in der Mitte des Bildes) gerade, was ein Echo ist. Wir wissen jetzt, wie der Bürgermeister von Wesel heißt und was die Studenten essen.

 

Gegen halb sechs zurück. Abends Spaghetti. Schattenspiele mit Taschenlampe. Beim Einschlafen schönes Regengeprassel auf dem Dach der Hütte. Und Wind. Immer wieder Wind. Viel Wind. In der Nacht schlafe ich unruhig.

 

Am nächsten Morgen schneit es. Es sind bereits ca. 5 cm Schnee liegen geblieben. Nach dem Frühstück mache ich eine 2-Stunden-Tour durch den Schnee. Sehr schön so alleine. Kein Mensch. Auf dem Rückweg sind meine eigenen Spuren teilweise schon wieder eingeschneit. Am Nachmittag probieren wir Schlittenfahren. Klappt leider nicht so gut. Der Schnee pappt blöd und die Kufen der alten Schlitten, die wir hinter der Hütte fanden, waren wahrscheinlich zu stumpf. Den ganzen Tag weht und schneit es.

 

23.10. – Wir sind eingeschneit. Knietief sinke ich beim Holzholen im Schnee ein. Großer Spass für die Kurzen. Wir toben durch den Tiefschnee. Unsere Vermieterin ruft an und sagt, dass wir heute nicht ins Tal fahren sollen. Zu viel Schnee. Ich ertappe mich dabei, wie ich in Gedanken unsere restlichen Lebensmittel rationiere. Eigentlich wollten wir schon am Vortag einkaufen fahren. Hoffentlich reicht das Essen.

 

Am frühen Nachmittag erfahren wir, dass die Straße ins Tal ist gesperrt. Der Sturm hat einige Bäume ausgerissen, der Schneepflug kommt zum Schneeräumen nicht durch. Die Bäume müssen erst mit Kettensäge zerkleinert werden. Wir sollen auch nicht rumlaufen. Denn es ist wärmer geworden und es besteht die Gefahr, dass Schnee von den Bergen runter rutscht. Aber keine Sorge, in zwei Tagen sei der Schnee wieder weg. Ich räume ein wenig den Weg zu unseren eingeschneiten Autos frei. Dann bauen wir einen Schneemann.

 

Um 16 Uhr gibt es leckere Dampfnudeln, wie in dem einen Kinderbuch bei den im Winter eingeschneiten Mäusen. Das ist alles sehr abenteuerlich für die Kinder. Auf dem Parkplatz steht noch ein weiteres Auto. Zwei Polen sind bei gutem Wetter los gewandert und noch nicht zurück gekommen.

 

Gegen Abend klart es ein wenig auf. Um 19 Uhr ist der Schneepflug aus dem Tal bei uns oben auf der Alm, dreht eine Runde über den Parkplatz des Nationalparks. Die Straße ins Tal ist frei. Es beginnt wieder leicht zu schneien. So ein kleiner Ofen macht eine so schöne, wohlige Wärme. Bei Carcassonne verloren.

 

24.10. – Am nächsten Tag herrlicher Sonnenschein und Tauwetter. Nach dem Frühstück schaufeln wir die Autos frei und verbringen den Vormittag beim Haus. Schöne klare Sicht. Bin tendenziell genervt. Vermutlich Hüttenkoller. Mit dem Schneepflug kommen ein paar Touristen hoch. Wir fahren zum Mittagessen ins Tal, dann einkaufen und Kuchenverabredung bei unserer Vermieterin. Die Sechsjährige sieht am Abend ihre erste Sternschnuppe.

 

25.10. – Es fühlt sich alles ein bisschen wie Weihnachten an. Nicht unangenehm geträumt. Vormittags sitzen wir vor der Hütte in der Sonne. Ich lese im Astronomie-Buch, das mir @reinerwein geschenkt hat. Der Vierjährige bastelt mit Eis herum: Sammeln, sortieren, schmelzen lassen und zerreiben. Zwischen 10:30 und 12:30 viele Bergtouristen, die an unserer Hütte vorbei kommen. Danach ist es wieder ruhiger. Ich möchte auch wandern, aber mein Fuß schmerzt vom Ausrutschen auf der glatten Straße gestern. Mittagessen in der Sonne vor der Hütte. Der Vierjährige weigert sich, zum Spaziergang mitzukommen. Stattdessen möchte er ein Experiment machen: was passiert mit Schneewasser, das man in einem Topf auf den Ofen stellt? Also bleiben wir zu zweit in der Hütte und experimentieren. Das Experiment dauert insgesamt 3,5 Stunden und endet mit der Hypothese, dass das Schneewasser aus den Topf offensichtlich im Ofen verschwunden ist. Wir sind uns einig, das wir das Experiment wiederholen wollen, ggf. mit leicht abgeändertem Versuchsaufbau.

Am Abend bis in die Nacht hinein noch das Astronomie-Buch (“Das Auge Gottes – Das Teleskop und die lange Entdeckung der Unendlichkeit”) zu Ende gelesen. Die Ruhe und nur das Knacken des Brennholz. Dann noch mal alleine raus in die Nacht, Sterne schauen.

 

26.10. – Auf dem Bild werden Ausbesserungen am Schneemann vorgenommen. In der Nacht und am Morgen habe ich noch ein wenig im RSS-Reader Blogs gelesen. Hier oben in den Bergen, wo wir keinen Internetempfang habe, oder auch sonst im Urlaub, wenn ich nicht bereit bin, die Wucherpreise der Telekom von 15 Euro für gerade mal 150 MB für eine Woche Internet zu zahlen, lobe ich mir meinen Offline-RSS-Reader. Blogs lesen ist momentan nicht Teil meines regelmäßigen Tagesablaufs. Was schade ist. Jetzt, wo das Urlaubsbuch ausgelesen ist, fällt mir mal wieder auf, wie viel Spaß Blogtexte machen. Unpraktisch nur die Blogger, die sich entscheiden nicht den gesamten Blogartikeltext voll im RSS Feed anzuzeigen. Offline kann man nämlich nicht auf den weiterführenden Link zum Volltext klicken. Und um den Artikel in die Später-Lesen-App einzufädeln, dazu müssen die ersten paar Zeilen schon sehr, sehr vielversprechend sein. Das sind sie meistens nicht. Jedenfalls: ich möchte wieder mehr Blogs lesen und natürlich selber mehr schreiben.

 

Schrecklich tristes Herbstwetter :-(

Kurz nach 11 Uhr mache ich mich alleine auf den Weg zur Glorer Hütte(Höhe: 2642 m). Ungefähr nach 3/4 des Weges abgebrochen. Zu viel Schnee auf dem letzten Stück, ich sacke teilweise bis zu den Knien in Tiefschnee ein. Sehr anstrengend. Vielleicht war das eine falsche Entscheidung. Es kommt mir gerade wie eine Niederlage vor. Andererseits muss man sich und der Situation auch eingestehen, wenn man nicht die geeignete Ausrüstung dabei hat. Mit Ski oder Schneeschuhen wäre das sicher besser gegangen. Aber ich habe ein nettes Selfie gemacht. Morgen fahren wir zurück. Das war hier alles so unwirklich. So eine Postkartenlandschaft. Gibt es Landschaften, die einem besser oder schlechter stehen? Es gibt auf jeden Fall Landschaften, die mir mehr liegen. Es ist gut in den Bergen, aber auch seltsam. Ich fühle mich wohler am Meer oder an einem See. Vielleicht auch nur, weil ich die Berge nicht gewohnt bin. Der kleine Gebirgsbach hier, ich hab versucht mit ihm warm zu werden, aber dieses ständige Gesprudelt und Geplätscher – das strahlt keine Ruhe auf mich aus. Auch die Berge. Die sind da, massiv. Aber bedeutet Majestivität auch innere Ruhe. Ich sollte wirklich endlich mal zum Yoga gehen.

27.10. – Auf diesem Webcam-Foto trage ich Gepäck zum Auto. Was ich dabei denke, weiß die Webcam nicht. Auch unsere Geheimdienste wissen es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, denn mein Telefon war sieben Tage lang verdächtig offline und hat keine Daten versendet. Was ich in diesem Moment denke ist belanglos und geht niemanden etwas an. Genau wie unsere Daten niemanden etwas angehen sollten. Nicht, um Terroristen zu fangen, nicht um einen Versicherungstarif an unsere Lebensstile anzupassen, und auch nicht, um uns besser Produkte zu verkaufen. Ich denke: “Ich möchte nicht von Staaten, von Geheimdiensten oder Unternehmen bevormundet werden. Niemand möchte bevormundet werden. Auch wenn die Kinder noch viel weniger bevormundet werden möchten, sollten vor der Fahrt aber alle lieber noch mal Pipi machen. Bei der Gelegenheit kann ich den Blick aus dem Klofenster mit Berg fotografieren. Das mit den Bergen ist schon merkwürdig. Am Anfang denkt man bei jedem Blick aus dem Fenster so “Wow”. Das nutzt sich aber merkwürdiger Weise schnell ab. Ich erinnere mich, dass mir das als Kind schon beim Skiurlaub immer so ging. Gibt es wirklich Urlaubsorte die besser oder schlechter zu einem passen? Immerhin freue ich mich endlich wieder mal auf Berlin.”

Abreise um 10:18 Uhr.

Das erste, was ich auf der Autofahrt nach der Grenze auf dem Handy lese ist ein Hinweis vom Socialmediawatchblog:

Surveillance Self-Defense

Die Electronic Frontier Foundation hat einen wirklich guten Leitfaden für sichere Online-Kommunikation veröffentlicht. Egal ob Aktivist, Journalist oder ganz gewöhnlicher Internet-Nutzer – die Übersicht ist einen Bookmark und (mehr als nur) einen Blick Wert.

Autor: @tristessedeluxe

Hi, ich bin Tillmann Allmer, Digitalstratege aus Berlin. In diesem persönlichen Weblog notiere ich Alltagsbeobachtungen und was mich in der Welt interessiert. Erfahre mehr über dieses Blog. Für Updates folge mir auf Twitter, Instagram und Refind. Oder abonniere Pro2koll.de auf Facebook.

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