Gendertrouble

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Toiletten-Symbole (Frauen / Männer) in einem vietnamesischen Restaurant in Büronähe.

Wie lustig, haha! Muss man sich nicht groß einen Kopf drüber machen, kann man aber.

Es sind diese kleinen Momente der Irritation, auf die es lohnt, zu horchen. Ich jedenfalls wusste nicht sofort, auf welche Toilette ich gehen soll. Man kennt das ja schon länger: Unter Gastronomen scheint es einen unausgesprochenen Wettstreit um die originellsten Toilettensymbole zu geben. Angefangen bei den biederen Messingschildern „Mädchen sitzt auf Pinkeltopf“ und „Junge pinkelt stehend in Pinkeltopf“ bis hin zur stylischen Variation des Themas Sitzen/Stehen hat man schon einiges gesehen. Dezente Farbcodes (rot-rosa/blau-hellblau), Kreuze nach unten und Pfeile nach oben in allen Variationen oder Chromosomen (XX/XY). Und immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich eine Millisekunde zu lange überlegen muss, in welchem kulturellen Kontext der Geschlechtsdifferenzierung ich mich befinde, bzw. welche Toilettentür meine ist. Das ist nicht gut. Das passiert einem nur in der Gastronomie. Nie auf Flughäfen oder im öffentlichen Raum. Warum eigentlich? Ist die Konkurrenz unter Gastronomen so groß, dass sie zur Abhebung von Anderen bis hin zur Toilettenbeschilderung einen total crazy und kreativen Erlebnispark schaffen müssen? Ist doch Quatsch. Ich fordere deutliche Beschilderung für das WC! Bei Notausgängen wird schließlich auch keiner kreativ. Und an der Küche steht „Küche“.

Bei all dem hab ich noch gar nicht die Gender-Komponente beachtet. Da fängt so ein gemalter Witz wie oben, dann nämlich wirklich an, problematisch zu werden. Mein letztes Semiotik-Seminar und meine letzte Gender-Hausarbeit sind schon etwas her und ich bin da nicht mehr so in Übung, aber ich probier’s mal: Auch die Standard WC-Symbole sind nicht frei von Geschlechtsstereotypisierung. Mann in Hose. Frau im Rock. Symbole vereinfachen natürlich. Will man da im Sinne der Gendertheorie neutral operieren, bieten sich womöglich Wörter besser an, als Symbole (z.B. „Men“ und „Women“). Aber es ist ein deutlicher Unterschied, ob ich mich in der binären Differenzierung im Kontext Toilette auf das biologische Geschlecht beziehe und tradierte Symbole nutze, oder ob ich – wie oben – eine weitere Ebene hinzuziehe, und zwar die des kulturellen Klischees von Geschlechterunterschieden. Das es einen Unterschied zwischen den biologischen Geschlechtern gibt, ist klar. Aber ein Anliegen der Gendertheorie ist ja gerade, die kulturell tradierten Unterschiede („typisch weiblich“ und „typisch männlich“) zu dekonstruieren (oder zumindest zu hinterfragen) im Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter. Man muss kein großer Feminist sein, um zu erkennen, dass es für beide Geschlechter diskriminierend ist, Frauen auf „Shopping“ und Männer auf „Fußball“ zu reduzieren.

Nicht lustig.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie das Missgeschick dort oben auf dem Bild passiert ist. Die Idee, statt den Messingschildern von Mädchen und Junge, eine Vietnamesin und einen Vietnamesen zu nehmen, leuchtet für ein vietnamesisches Restaurant durchaus ein. Nur ist der Unterschied beider Figuren nicht signifikant genug. Meiner Meinung nach liegt das an dem Hut in Form eines Dreiecks, denn gern werden auch Dreiecke (Spitze nach oben für „Frau“, Spitze nach unten für „Mann“) als Toilettensymbole benutzt. Zwei Dreiecke nach oben sorgen da natürlich für Verwirrung. Naja, und die Handtasche beim Weibchen und das andere da in Gürtelgegend bei dem Männchen sind Details, die man auf dem Weg zur Toilette eben nicht so genau studiert.

Um nun den Fehler in der Ikonographie auszubessern wurde sich für eine Ergänzung der Symbole entschlossen. Die beiden Figuren sollten zum Zweck der Differenzierung über ihre Gedanken ein Geschlecht zugewiesen bekommen. Dabei hat man einen weiteren Fehler begangen. Nämlich den, der vergleichbar ist mit einem Medienwechsel. Man verlässt die Ebene des Symbols (Darstellung) hin zur Ebene der Metapher (Interpretation). Ich muss jetzt also auf dem dringenden Weg zur Toilette bei scheinbar gleicher Ikonographie der Symbole eine Abstraktionsleistung vollziehen, um „Shopping“ und „Fußball“ in meinem Kontext („verdammt, welche Toilettentür?“) korrekt zu interpretieren.

Ich meine, käme jemand auf den Gedanken, an Wasserhähnen den blauen Punkt und den roten Punkt durch einen Schneemann und einen Feuerwehrmann zu ersetzten (die dann womöglich auch noch in Blasen „nordisch“ und „südländisch“ denken), wäre die Verwirrung eigentlich nicht geringer, oder?

Was lernen wir also daraus: Symbolsprache ist schwierige Sprache. Überall lauert das Gespenst der Diskriminierung. Und Unisextoiletten tun keinem weh. Offen bleibt: Warum haben die Figürchen eigentlich keine Schlitzaugen? Auch nicht lustig.

Update: @derherrschulze gibt im Kommentar des Rätsels Lösung. Popkultureller Kontext!

Autor: @tristessedeluxe

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