Manchmal ist es klug, sich ein bißchen Zeit zu lassen, mit der Meinungsbildung über Fernsehsendungen. Das Problem an seriellen Formaten ist, dass man da immer erst reinkommen muss. Ich kann mich noch gut erinnern, als die ersten „Star Trek TNG“-Folgen ausgestrahlt wurden. Scheußlich fand ich die damals, der Nachfolge des Originals nicht würdig. Auch mit „Big Brother“ musste die Masse erst warm werden.
„Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ ist eine kluge Sendung, denn sie führt in letzter Konsequenz fort, was seit Erfindung des Voyeur-TV geschehen ist. Es ist quasi die Zusammenfassung aller Big-Brother-Erfahrungen, über „Deutschland sucht den Superstar“ und „Popstars“. Jetzt – endlich – werden wieder Profis drangelassen! Okay, die Auswahl an Profis ist C, D und E. Aber da müssen wir durch auf dem Weg zur A-Liga. Denn das ist, was wir wirklich sehen wollen: Verona von Rebellen entführt aus einem Wüstencamp, eigeschlossen in ihrem DIXI-Klo (live).
„Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ ist ein sehr reflektierter Titel. Und er ist unwahr, denn in der Sendung gibt es keine Stars, sondern nur Kandidaten. Daniel Küblböck verkörpert dieses Dilemma am Schönsten. Das Unschuldslamm vom Lande wurde als Kandidat in einer Casting-Show zum Retorten-Promi, vielleicht auch ohne sich vorher darüber bewußt zu sein. Jedenfalls scheint ihm der Rummel manchmal ein bißchen zu viel. Eigentlich will er da wieder raus, der arme Kerl. Raus aus dem Promi-Ghetto, raus aus dem Star-Gefängnis, zurück in den echten Dschungel des Lebens, wo nur zählt, was für ein Mensch man ist. Überhaupt – die Menschlichkeit. Die noch vorhandenen Kandidaten scheinen den Dschungelaufenthalt hauptsächlich als Selbstfindungstrip zu schätzen. Mal das Ego Ego sein lassen und wieder Gruppen bilden, voneinander abhängen. Ausbrechen aus dem Star-Sein. Denn ziemlich schnell war allen klar, „okay, der und der macht mit. Die sind ja alle auf dem absteigenden Ast… bin ich dann wohl auch!“ Mit Starallüren kommt man nicht weit im Dschungel. Die Kandidaten haben das schnell begriffen und haben sich zum Menschlichen gewendet. Das einzig Unmenschliche an der Sendung sind die beiden Moderatoren.
Ja, doch, würdelos. Aber nun doch nicht so schlimm, dass man sich aufregen muss. Es ist ja nicht so, als ob die Kandidaten – auch wenn sie keine echten Stars sind – nicht eine bestimmte Erfahrung über die Funktionsweisen von Medien haben, sich nicht darüber informiert hätten, was in den Dschungelsendungen anderer Länder passiert ist, und nicht aus einem ganz bestimmt Antrieb mitmachen: Ich bin kein Star, holt mich wieder rein! Die eigentlich Würdelosigkeit liegt in der Wiederholung des Star-Seins. Etwa, dass Gottlieb Wendehals auch nach seiner Alkoholismus-Kur immernoch als Stimmungskanone sein Geld in den Bierzelten dieser Welt verdienen muss. Das finde ich würdelos. Warum sollen jene denn ihr ganzes Leben in diesen Schubladen bleiben, in denen wir sie so gerne hätten? Kein Wunder, dass manche von ihnen rufen: „Holt mich bitte raus!“ Wendehals´ Markenzeichen – das Karo-Jackett – hängt abgelegt über einem Ast im Dschungel. Bitte, lass es da! Und komm als neuer Mensch wieder. Dann lass ich dich auch rein, vielleicht.
In der „Domian“-Sendung von letzter Nacht, hat sich ein Anrufer über „Ich bin ein Star…“ aufgeregt. Wusste aber doch sehr gut bescheid, auch wenn er nur „immer mal wieder reinzappt“. Ach, Deutschland Dein Fernsehverhalten…, aber deswegen bei Domian anrufen? Danach kam ein 17-jähriger, der davon berichtete, dass er den Tod spüren kann. Ein sehr reflektierter, junger Mann, der sich als normaler, durchschnittlicher deutscher Bürger“ bezeichnete. Wenn doch alle so wären, wie dieser respektable junge Mensch, gäb’s „Ich bin ein Star…“ wahrscheinlich gar nicht.