Macht mit! Partizipative Kunst gegen Überwachung.

#alttext#

Im Angesicht des Abhörskandals fühlt man sich wütend, verletzt, verraten. Man zuckt resigniert mit den Schultern, sagt „I told you so“, oder macht einfach so weiter wie immer. Zu groß ist die Unverschämtheit, zu vielfältig womöglich die politischen Interessensverwicklungen, als dass man um Aufklärung hoffen könnte. Um dieser Ohmacht entgegen zu wirken hilft vielleicht Kunst. Sie wird das nebelige Problem nicht aufklären, aber sie wirkt dem Unbehagen entgegen.

Ein Bekannter hat mich auf das partizipative Kunstprojekt WIR SIND HIER hingewiesen, bei dem er selber als Künstler mitmacht, und das in diesem Jahr die Ars Electronica eröffnen wird. Es geht um das Hier und Jetzt, gegen die heutige Überwachung, um die historische Erinnerung. Man will das Unbehagen bekämpfen, wir wollen laut werden. Macht mit! Ich hab auch schon dazu beigetragen, vielleicht findet ihr ja mein Gesicht im brecht’schen Protestchor.

Salvatore Vanasco, einer der Initiatoren des Projekts, im Interview auf dem Blog der Ars Electronica:

„Ich sehe, dass der Bürger keine Rechte mehr hat, dass die Grundrechte des Bürgers auf die eigene Würde, auf den eigenen Privatraum, auf die eigene Privatsphäre, auf die Steuerung eigener Daten und damit letztendlich auch die Selbstbestimmung ausgehebelt wurden, durch bilaterale Verträge, bilaterale Verhältnisse von Sicherheitsdiensten, dass Staaten unter dem Schutzmantel der Terrorismusbekämpfung Maßnahmen setzen, die eigentlich außerrechtlichte und außerstaatliche Maßnahmen sind. Eigentlich bin ich dafür, dass man eine Sammelklage erhebt gegen die Unterwanderung der Bürgerrechte. Ich sehe einen konkreten Angriff auf die Würde, ich finde, dass die Rolle des Bürgers zum Staat und umgekehrt die des Staates zum Bürger neu verhandelt werden muss.“

Folgend noch vertiefende Informationen, die ich wenig bearbeitet aus einem Pressetext übernommen habe:WIR SIND HIER ist ein künstlerisches Experiment, dass das diesjährige Ars Electronica Festival in Linz (Österreich) am 05. September eröffnet. Das Projekt besteht aus einem Online-Teil auf www.wir-sind-hier.org und einer Live Performance auf dem Ars Electronica Festival, die viele verschiedene künstlerische Ausdrucksformen und Technologie (Musik, Tanz, Theater, Performance, Projektion, digitale Technologien, Social Media, User Generated Content) miteinander verbindet.

Besonders der Online-Teil von WIR SIND HIER lebt von Partizipation. Auf der Website können Internetnutzer in Diskursen selbst zu Wort kommen, Impulse setzen und die Live Performance in Linz mit selbst produzierten Inhalten (UGC) aktiv mitgestalten. Wichtig ist uns die spielerische und kreative Auseinandersetzung mit schwierigen und aktuellen Themen wie Überwachung, Zensur, Freiheit, Staat und Identität. Hierzu nutzen wir vor allem die Kulturtechniken des Internets und die sozialen Medien, um jüngere Zielgruppen anzusprechen:

  • Nutzer können per Webcam ein kurzes Video von sich selbst aufnehmen und Teil eines großen digitalen Protestchors werden. Im Video lesen sie fünf Zeilen aus Bertold Brechts Gedicht Gegen Verführung (1925) vor. Der Protestchor wird später Teil der Live Performance von WIR SIND HIER auf dem Ars Electronica Festival.
  • Bei der Aktion Sounds of Destruction rufen wir dazu auf, sich mit kultureller Zerstörung und Zensur „hörend“ auseinanderzusetzen. Nutzer können per Soundcloud selbst erstellte Sounds einreichen, die der Komponist FM Einheit dann in die Live Performance von WIR SIND HIER integriert.
  • Collective Sculpture ist der Versuch, eine Crowdsourcing-Skulptur auf dem Ars Electronica Festival zu bauen. Der ganze Prozess ist frei: Die Nutzer bestimmen die Form, die Materialien und was nach dem Festival mit der Skulptur geschehen soll. Eine kollektive Skulptur hergestellt in einem kollektiven Prozess. (In Vorbereitung)
  • Im Rahmen von Occupy History nutzen wir das Twitter Tool Vine. Hiermit können Nutzer einen sechs Sekunden dauernden Loop produzieren, der zeigt, wie die Historie (und damit auch Erinnerung) sich im Kontext der Popkultur wandelt. Beispiel: Von Adolf Hitler zu Hipster Hitler.
  • Zu Themenkomplexen wie Überwachung, Zensur, Freiheit, Staat und Identität werden sukzessive redaktionelle Artikel bekannter und noch unbekannter Autoren als Blogposts veröffentlicht. Die Artikel können direkt im Kommentarsystem, auf Facebook, Google+ und Twitter diskutiert werden. Zusätzlich bieten wir zu jedem Themenkomplex eine sich ständig erweiternde Quellensammlung auf Storify an.

Die Website wir-sind-hier.org befindet sich im ständigen Wandel. Sie ist Teil des künstlerischen Prozesses und spiegelt diesen wieder. Weitere Aktionsformen, Inhalte und Experimente kommen hinzu. So wird als besonderes Ereignis der Live-Stream der Festival-Performance auf der Website für die ganze Welt zu sehen sein. Und auch nach dem Festival werden hier noch Aktionen und Partizipationsangebote gemacht, bis das Projekt schließlich in einem digitalen Archiv zur Gänze abgebildet und den Menschen zur Verfügung gestellt wird.

Das Projekt strebt im Kern eine zeitgemäße und kollektive Auseinandersetzung mit den totalitären Mechanismen der Vergangenheit (z. B. Bücherverbrennung 1933 in Deutschland) an, um vor den heute wirkenden (z. B. das Überwachungsprogramm PRISM) zu warnen. Das Hier und Jetzt zu erfassen, zu verarbeiten und neue Konzepte mit den Mitteln der Kunst für eine Zukunft jenseits militärischer, wirtschaftlicher und staatlicher Kontrolle zu finden ist der Anspruch der generationsübergreifenden und multinationalen Künstlergemeinschaft von WIR SIND HIER.

Autor: @tristessedeluxe

Hi, ich bin Tillmann Allmer, Digitalstratege aus Berlin. In diesem persönlichen Weblog notiere ich Alltagsbeobachtungen und was mich in der Welt interessiert. Erfahre mehr über dieses Blog. Für Updates folge mir auf Twitter, Instagram und Refind. Oder abonniere Pro2koll.de auf Facebook.

4 Kommentare