Be nice!

Be nice or leave

Gestern ein Tag am See mit den Kindern, der Liebsten und minimalem Internetempfang. Der Kleinste und ich werden langsam warm. Er kann jetzt tolle Spuckeblasen machen und über meine Witze lachen. Das hilft viel, um als Vater das Gefühl zu haben, verstanden zu werden (Spuckeblasen, nicht die Witze).

Scherz beiseite. Zu der Sache mit Michis Blog in der F.A.Z. habe ich mir am See einige Gedanken machen können. Wollte das alles aufschreiben. Doch wie ich lese, ist die Sau schon längst durch’s Dorf. Eigentlich ist alles gesagt. Aber eben noch nicht von allen.

Michi ist ein guter Freund. Ich mag seine Emotionalität in solchen Dingen. Ich lächele auch gern über ihn, wenn das alles mit dem Leben und den Bürokratien und den Realitäten nicht so einfach ist, wie er sich das manchmal vorstellt. Aber das ist eine Qualität und er hat Recht mit der grundsätzlichen Frage: wozu, verdammt, ist das so und nicht so wie ich das besser finde? Wenn wir in der Vergangenheit verhaftet bleiben, uns mit der Gegenwart abfinden, werden wir uns nicht weiter entwickeln. Wenn nicht wir die Ideale (und realpolitischen Lösungen) unserer Elterngeneration überprüfen, wer dann? Wir suchen alle nach einer besseren Welt. Oder nicht? Eben.

Es ist diese Stammtischmentalität in den Blogs und in den Kommentaren und auf Twitter, die mich immer wieder stört. Dieses hoffen auf den nächsten Shitstorm, darauf, dass dieses mal „die da Oben“ endlich ihr Fett wegkriegen. Dann haben es alle wieder vorher gewusst, geben kluge Ratschläge und machen schlau analysierende Social-Media-PR-Podcasts. Eine Haltung, in die auch ich immer wieder gern gerate, die aber nicht konstruktiv die Probleme ändern wird. Dieses schrecklich deutsche Gehabe, dass man nicht nur unten in der staubigen Bierpinte an der Ecke findet, sondern eben an jeder Ecke in dieser so genannten Netzgemeinschaft. Dieses Gehabe um eine eigene Meinung, und sei sie noch so ungebildet und ohne dass man Zusammenhänge kennt, nur durch Halbwissen ausreichend kaschiert. Es geht doch immer um eigene Emotionen und Positionen, als um eine Strategie der Veränderung. Ich wiederhole: ich nehme mich da nicht aus. Trotzdem verleidet es mir oft genug den Spass an Social Media. Ich twittere auch emotional und gerne unüberlegt. Ich bloggere hier auch nur so vor mich hin, ohne zu wissen wohin das hier führen wird und manchmal auch, wie an Stammtischen üblich, unter Alkoholeinfluss. Trotzdem ist leider diese Stammtischmentalität ziemlich schlimm für meinen Glauben an das Internet und das Gute in der Gesellschaft. Aber das geht mir seit jeher so bei jeder Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Nur weil es diesmal einen Freund erwischt hat, regt es mich einfach noch mal ein Stückchen mehr auf, was es nicht sollte. Schließlich ist das ja auch das tolle am Internet, dass da jeder Idiot was reinschreiben darf (frei nach @_peekaboo im Skypechat). Daher will ich zu der Sache gar nichts mehr denken. Das hier aufzuschreiben hilft mir, den Kopf davon zu befreien und mich wieder anderen Gedanken zu widmen.

Wichtig sind vermutlich nur zwei Dinge:

Für klassische Medien sind Blogs heute immer noch primär ein kostengünstiges Tool, um Klickraten im Onlineangebot zu steigern womit klassische Werbung verkauft wird. Ein anderes Geschäftsmodell haben die bisher noch nicht für sich entdeckt. Die Marketingstrategie, die Bindung von neuen Kundenschichten an die klassische Medienmarke, ist dabei aus Sicht der Werbeleiter Marketingdirektoren zweitrangig (siehe auch). Jetzt ratet mal, an welcher Stelle der Blogger und seine Texte kommen.

Zweitens: Der Ton zwischen Auftraggebern und freien Mitarbeiter in Deutschland ist unmöglich. Nicht nur bei Zeitungen. Man zeige mir den Selbstständigen, der nicht irgendwann (mich eingeschlossen) mal über den rüden Sklaventreiberton von Auftraggebern geklagt hat, offene und unbezahlte Rechnungen hat, oder sich von Auftraggebern in Unfriede trennen musste. Ich kenne keinen Auftraggeber (mich eingeschlossen), der nicht einstimmt auf das Lied des Leides im Umgang mit (natürlich unerfahrenen, weil billigen) Selbstständigen, die mit einem über Grundsätzliches diskutieren wollen, wenn sie lediglich für gutes Geld mir die Arbeit erledigen sollen. Das geht weit über den Themenkomplex Selbstständigkeit hinaus. Das ist auch im Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Kontext so. Doch bei freien Mitarbeitern ist eine fristlose Kündigung der Zusammenarbeit oft genug mit prekären Folgen verbunden und unbezahlten Stunden.

Ich kann Michi verstehen, ich kann den Redakteur verstehen. Das ist Alltag an der Schnittmenge zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Nichts desto trotz: Warum immer so rüde und sozialinkompetent? Ich weiss die Antwort: Schuld daran ist die von beiden Seiten verherrlichte Telearbeit! (Telefonkonferenzen inklusive). Einer der britischen Kollegen hat es vor zwei Jahren in seiner Successful digital strategy in two words schon auf den Punkt gebracht: „the key to success in digital communications, whether you’re an individual or a business, can be distilled down to two words: BE NICE!“ Und jetzt, wo das Geheimnis gelüftet ist, einfach immer wieder anwenden. Macht es schön! Dein eigener Tellerand muss nicht zwangsläufig der gleiche Tellerand deines Gegenübers sein.

PS: Ich lese gerade nochmal meinen ersten Absatz dieses Artikels und ersetzte dabei im Geiste „Kleinste“ durch „Blogger“, „Spuckeblasen“ durch „Klickraten“ und „Vater“ durch „Unternehmer“:
Der Kleinste und ich werden langsam warm. Er kann jetzt tolle Spuckeblasen machen und über meine Witze lachen. Das hilft viel, um als Vater das Gefühl zu haben, verstanden zu werden (Spuckeblasen, nicht die Witze).

Autor: @tristessedeluxe

Hi, ich bin Tillmann Allmer, Digitalstratege aus Berlin. In diesem persönlichen Weblog notiere ich Alltagsbeobachtungen und was mich in der Welt interessiert. Erfahre mehr über dieses Blog. Für Updates folge mir auf Twitter, Instagram und Refind. Oder abonniere Pro2koll.de auf Facebook.

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