[Berlinale 2009] Film: Short Cut to Hollywood

:::: gesehen am 12.2.2009 im Zoo Palast

Deutschland, Österreich, USA, 2008 – Regie: Marcus Mittermeier, Jan Henrik Stahlberg – Darsteller: Jan Henrik Stahlberg, Marcus Mittermeier, Christoph Kottenkamp, Marta McGonagle, Allison Findlater-Galinsky, Asli Bayram – Sektion: Panorama Special

Drei Berliner Jungs, beinahe 40, machen sich kurzerhand auf den Weg nach Amerika, mit dem Ziel einen Film zu drehen und einen von ihnen berühmt zu machen. Das soll mit einer genialen Idee klappen: Das TV-Publikum ist live dabei, wie John Salinger vor Kameras stirbt. Erst der Finger, dann der Arm, dann das Bein, schließlich der Tod. Persifliert werden die Träume vom Starsein, die billigen Mittel, mit denen das TV nach „Superstars“ sucht. Wie weit wird gegangen, für den Ruhm. Supergute Filmidee, böse Mediensatire, in der Dramaturgie und im Schnitt aber leider etwas schleppend umgesetzt.

[Berlinale 2009] Film: The Exploding Girl

:::: gesehen am 12.2.2009 im Delphi

USA, 2009 – Regie: Bradley Rust Gray – Darsteller: Zoe Kazan, Mark Rendall, Maryann Urbano – Sektion: Forum

Eine Liebesgeschichte und ein Film über Freundschaft. Eine junge Studentin kommt über die Ferien zurück nach Hause. Sommer in New York, ihr alter Freund aus Kindertagen ist auch in der Stadt. Man hängt ab oder streift durch die Stadt. Ihre tatsächliche Beziehung führt die Studentin übers Handy. Doch dauernd scheint die Verbindung gestört, bis ihr gesagt wird, dass es besser wäre, wenn sie sich nicht mehr sähen. Und dann wird aus der alten Freundschaft aus Kindertagen doch noch ganz zärtliche, vorsichtige Liebe. Tausend mal berührt … unprätentiös und mit Poesie.

[Berlinale 2009] Film: Calimucho

:::: gesehen am 12.2.2009 im Delphi

Niederlande, 2008 – Regie: Eugenie Jansen – Darsteller: Dicky Kilian, Willy Soeurt, Peter Verberk, Ellie Teeuw, Tarek Hannoudi, Ralph Huppertz, Manfred Huppertz, Joshy Huppertz, Freddy Kenton, Evelyne Bouglione, Timo Soeurt – Sektion: Forum

Spielfilm mit dokumentarischen Mitteln über eine junge Frau, die nach dem Tod ihrer Schwester, deren Rolle in einem Wanderzirkus übernimmt. Zusammen mit dem Messerwerfer und Zauberer Willy lebt sie in einem Wohnwagen und zieht dessen kleinen Sohn groß. Die Filmemacherin Eugenie Jansen hat einen Sommer lang den Zirkus auf seiner Tournee entlang der deutsch-niederländischen Grenze begleitet. Neben der Spielhandlung um die junge Frau wird gleichzeitig das Zirkusleben dokumentiert. Auch wenn die Zirkusartisten Rollen spielen, die Handlung erfunden ist, bringen die Harlekino-Mitarbeiter doch ihre Lebenswirklichkeit mit auf die Leinwand. Diese vorgefundene Welt des Zirkuslebens stilisiert die Regisseurin zu großen Bildpanoramen, die den fließenden Übergang von Realität und Fiktion erzählen.

[Berlinale 2009] Film: The Good American

:::: gesehen am 11.2.2009 im CineStar

Deutschland 2009 – Regie: Jochen Hick – Darsteller: Tom Weise, Keith Richmond, Freddie Spells, Vin Nolan; Alex Baresi – Sektion: Panorama Dokumente

Jochen Hicks neuer Dokumentarfilm porträtiert Tom Weise, einen der Schöpfer des „HustlaBalls“, einer Veranstaltung, die ursprünglich angetreten war, die Akzeptanz von männlichen Prostituierten zu stärken, aber auch die Webseite rentboy.com promotet. Auch hier besteht die Gefahr eines Films, der lediglich Legendenbildung betreibt. Aber Jochen Hick schafft es, den Blick auch von Tom Weise weg auf das Gesamtbild einer marginalisierten Szene zu richten.

Zum Inhalt:
Mit den Eltern völlig entzweit und ohne Kontakt, geht der ehemalige Student der Politischen Wissenschaften Anfang der 90er Jahre nach New York. Als HIV-Positiver kann er nur illegal in den USA leben, laut Gesetz dürfte er dieses Land nicht einmal besuchen. In New York schlägt sich Tom Weise zunächst mehr schlecht als recht als Escort durch. Er verdient kein Geld, wird obdachlos. Schließlich hilft er Jeffrey Davids, die Internetseite rentboy.com aufzubauen, die zehn Jahre später die größte Internetseite für Escort wird. Gesundheitliche Komplikationen, Einsamkeit und Drogenexzesse quälen Tom zunehmend, bis er 2006 endlich einen Lebenspartner findet. Er beschließt, mit dem Afroamerikaner Keith nach Berlin zu gehen und Deutschland nach 15 Jahren erstmals wieder zu betreten. Wenige Tage danach findet der Berliner „Hustla­Ball“ statt.

[Berlinale 2009] Film: Mubobi (Naked of Defenses)

:::: gesehen am 11.2.2009 im Cinemaxx

Japan 2008 – Regie: Ichii Masahide – Darsteller: Moriya Ayako, Konno Sanae, Nishimoto Ryuki, Nakamura Kuniaki, Kakinuma Naoko, Kumanomido Aya, Asama Yuki, Ichii Hayata – Sektion: Forum

Nach einer traumatischen Fehlgeburt leidet die junge Ritsuko unter Depressionen. Sie arbeitet in einer kleinen Fabrik für Plastikteile. Wie die Maschinen auf ihrer Arbeit, erledigt sie ihren Job und ihre Ehe. Mit ihrem Mann hat sie sich nichts mehr zu sagen. Doch dann freundet sie sich mit der hochschwangeren, neuen Kollegin an.

Entweder ist junges, japanisches Realkino flippig-poppunkig, oder post-splatter-ironisch, oder man versucht in langen, andauernden Einstellungen bedeutungsvolles Kunstkino zu schaffen. „Mubobi“ ist auf DV gedreht und hat lange, ruhige Einstellungen. Der erste Eindruck entspricht eher dem einer Videoinstallation. Im Angesicht einer etwas verwackelten Exposition eines kargen Landschaftspanoramas mit langem Zoom auf eine kleine Fabrik möchte man beinahe, sofort wieder aufstehen und das Kino verlassen, doch dann hält einen der Rhythmus der automatisierten Fabrikmaschinen und eine merkwürdige Sterilität in den Gesichtern der Arbeiter doch im Kino. Es bleibt über den gesamten Film alles sehr steril und aufgeräumt. Bis zum Ende, das im Verhältnis zum restlichen Film geradezu in einer befreienden Ekstase an Dreck und Blut einer Geburt mündet. Kein Film, den ich explizit empfehlen würde, aber auch nicht vollkommen uninteressant. Nebenbei hat der Filmemacher mit diesem experimentellen Spielfilm auch die Geburt seines eigenen Kindes dokumentiert.

Die Filmkritikerin Anke Leweke zum Film im Programmheft:
Ichii Masahides ruhige Einstellungen lassen den Zuschauer an der Trauer seiner verstummten Heldin teilhaben. Konsequent begibt sich der japanische Regisseur in einen Alltag, der sich auf mechanisch ausgeführte Bewegungen und Gänge reduziert hat. Während die monoton verrichteten Gesten im Haushalt von der Erstarrung einer Ehe erzählen, scheint die Gleichmäßigkeit der Fabrikarbeit Ritsuko Halt und Zuflucht zu geben. Auch die grüne, sanfte Landschaft rund um das in der nordjapanischen Region Hokuriku gelegene Fabrikgebäude hat etwas Tröstliches. Als Ritsuko die neue Kollegin Chinatsu einarbeiten muss, gerät ihr fragiler Lebensrhythmus aus dem Takt – nach einer falschen Bewegung steht das Fließband plötzlich still. Die schwangere Frau ist zum Spiegelbild für all das geworden, was Ritsuko einst verlor. Ichiis Film wird zu einem Psychothriller, der seine Spannung aus der Frage zieht, ob sich Ritsuko dem Spiegelbild stellen kann oder es zerstören muss.

[Berlinale 2009] Film: Wolke 9

:::: gesehen am 11.2.2009 im Cinemaxx

Deutschland 2008 – Regie: Andreas Dresen – Darsteller: Ursula Werner, Horst Rehberg, Horst Westphal, Steffi Kühnert – Sektion: German Cinema

Zwischendurch kommt man ja auf der Berlinale auch dazu, Filme nachzuholen, die man im letzten Jahr verpasst hat. Bin ganz froh, Andreas Dresens Film über Liebe im Alter noch gesehen zu haben. Der Film lebt von seinen Schauspielern und versprüht scheinbar ohne viel Mühe eine sehr intensive, spätsommerliche Atmosphäre der reifen Sexualität. Dreißig Jahre relativ glücklich verheiratet verliebt sich die knapp 70-jährige Inge vollkommen unerwartet in den bald 80-jährigen Karl. Es ist Leidenschaft. Es ist Sex. Und dass ihr so etwas in ihrem routiniertem Leben noch einmal passiert, hätte sie nicht gedacht. Die Sehnsucht ist stärker als die Vernunft. Auch wenn sie ihren Mann Werner immer noch liebt. Keine Überhöhung, sondern Realismus mit ganz normalen Menschen mit ihren Makeln und Macken, und im Hintergrund das Geräusch der vorbeifahrenden S-Bahn. Dresen zeichnet die Figuren mit viel Liebe, Konsequenz und so etwas wie Hoffnung für das Alter.

[Berlinale 2009] Film: Der Architekt

:::: gesehen am 11.2.2009 im Cinemaxx

Deutschland 2009 – Regie: Ina Weisse – Darsteller: Matthias Schweighöfer, Josef Bierbichler, Sandra Hüllerm, Sophie Rois – Sektion: German Cinema

Ein ehrlicher Heimatfilm. Der Architekt hat seinem oberbayerischen Heimtadorf schon lange den Rücken gekehrt und ist nun gezwungen, zur Beerdigung seiner Mutter wieder zurück zu kommen. Seine Frau und seine beiden Kinder kommen mit. Über die vielen Jahre hat das Dorf etwas bewahrt, dem die Familie nun gewahr wird: das geheimnisumwitterte Vorleben ihres Familienpatriarchen. Im Dorf trifft der Architekt eine frühere Liebesaffäre wieder, die dort alleinerziehend mit ihrem inzwischen 18-jährigem Sohn lebt. Am liebsten möchte der Architekt so schnell wie möglich vor seiner Vergangenheit fliehen, doch eine Lawine verhindert die schnelle Abfahrt, sodass sich der Architekt sich konfrontieren muss und die Familienfassade bröckelt. Beindruckend solider und durchweg spannender Debütfilm von Ina Weisse, die damit das Drama einer Familie erzählt, die durch Verdrängung, Angst, Schuld und Selbstbetrug zerfällt. Schöne Kamera und gutes Schauspiel auch. Ich mag Heimatfilme, wo Sophie Rois mitspielt.

[Berlinale 2009] Film: Beeswax

:::: gesehen am 10.2.2009 im Cinestar8

USA 2009 – Regie: Andrew Bujalski – Darsteller: Maggie Hatcher, Tilly Hatcher – Sektion: Forum

Die querschnittsgelähmte Jeannie und Amanda besitzen einen Secondhand-Laden. Jedoch glaubt Jeannie, dass Amanda eine Klage gegen sie anstrebt und sucht deshalb Rat bei ihrem Exfreund und Jurastudent Merrill. Jeannie’s Zwillingsschwester – beide leben zusammen – ist auf der Suche nach einem Job. Das eigentliche Drama, der Gerichtsprozess, findet eigentlich nicht statt. Der Film fokussiert sich auf all die zähen Entscheidungen davor: Klagen? Sex mit Ex? Stop oder Go? Frühstück oder nicht? Bujalskis dritter Film zeigt Tweens in ihrem Alltag beim Abschied von der Unverbindlichkeit. Dabei strahlen die Laiendarsteller eine Lebendigkeit aus und improvisieren ihre Dialoge voller Wortwitz entlang eines Drehbuchs. Das ist also diese filmische Richtung „Mumblecore“ der gelungenen Sorte gewesen. Ein sehr feinfühliger, vorsichtiger Film. Vorsichtig mit seiner Handlung, feinfühlig mit der Darstellung seiner Charaktere, mit liebevoller Kamera und allem. Dabei aber nicht überemotionalisierend, sondern wie die Kollegin just twitterte: „leichthändig dirigierter alltag, tolle farben, tolle dialoge.“

http://www.beeswaxfilm.com/

[Berlinale 2009] Film: Little Joe

:::: gesehen am 10.2.2009 im CineStar7

USA 2009 – Regie: Nicole Haeusser – Darsteller: Joe Dallesandro – Sektion: Panorama Dokumente

Dokumentation über Joe Dallesandro, die männliche Sex-Ikone in Andy Warhols Factory und Star etlicher Paul Morrissey-Filme. Joe Dallesandro wird dieses Jahr 60 Jahre alt und seine Tochter hat diesen Film über sein bisheriges schauspielerisches Schaffen produziert. Natürlich wird hier eine lebende Legende ins rechte Licht gerückt. Man kann dem Film vorwerfen, dass nicht auch andere Stimmen außer Joe Dallesandro zu Wort kommen, ebenso wie der Film bestimmte Metaebenen auslässt, die spannend gewesen – etwa das Thema der Darstellung von männlicher Sexualität im amerikanischem Kino, mit der Joe Dallesandro schließlich durch Tabubrüche erst berühmt geworden ist. Und man kann dem Film eine äußerst schlechte Tonmischung vorwerfen. Insgesamt habe ich mich aber nicht gelangweilt, auch wenn nicht wirklich viel neue Erkenntnisse über die Mechanismen der Factory oder der Filmindustrie selber dazu kamen. Es soll ja im Kern auch um Joe Dallesandro gehen. Von dem bekommt man den Eindruck eines zunächst etwas naiven New Yorker Jungen, der trotz Rückschläge sich aber immer wieder aufrappelt und so etwas wie ein amerikanischer Held wird, a Self-Made-Man. Viele Probleme in Joe Dallesandro Leben werden ausgeklammert oder nur äusserst beiläufig gestreift. Bisschen wenig, für eine rundum gelungene Biographie. Aber gut, Legendenbildung eben.

[Berlinale 2009] Film: Ricky

:::: gesehen am 7.2.2009 in der Urania

Frankreich, Italien 2009 – Regie: François Ozon – Darsteller: Alexandra Lamy, Sergi Lopez, Mélusine Mayance, Arthur Peyret – Sektion: Wettbewerb

Bei François Ozon spalten sich gern die Geister. So auch bei diesem Film. Mich erstaunt immer wieder, wenn es ein Film schafft, vereinzelte Buh-Rufe im Publikum auszulösen. Ganz so schlecht ist der Film aber nicht, vielmehr ist er durchgängig stringent und spannend erzählt, wenn auch das Ende nicht aus den Vollen schöpft und einen zunächst etwas alleine lässt.

Von der Handlung darf man nicht zu viel vorwegnehmen: Katie, eine gewöhnliche Fabrikarbeiterin und allein erziehende Mutter lernt auf ihrer Arbeit Paco kennen, mit dem sie ein außergewöhnliches Baby zeugt. Der Film basiert auf einer Geschichte der britischen Autorin Rose Tremain und François Ozon schreibt dazu:
„Die Erzählung ist sehr kurz und erinnerte mich von ihrer Stimmung her an ROSETTA, den Film der Brüder Dardenne. Die Protagonisten sind arme, unterprivilegierte Weiße, die in einer amerikanischen Wohnwagensiedlung leben. Wegen dieses Hintergrundes war ich mir zunächst nicht sicher, wie ich mich der Handlung nähern, sie zu meiner eigenen machen sollte. Und obwohl mir die Vorstellung gefiel, wie ein außergewöhnliches und erstaunliches Ereignis die ansonsten ganz hoffnungslose Existenz der Charaktere durcheinanderbringt, machte mir das fantastische Element auch Angst. Aber dann wurde mir klar, dass es nicht so sehr der Fantasy-Aspekt der Geschichte war, der mich berührte, sondern die Art und Weise, in der sie von Familie handelt, von unserem Platz in ihr, und wie ein neues Mitglied, sei es ein neuer Partner oder ein Kind, die ganze Balance durcheinanderbringen kann. Rose Tremains Texte besitzen eine Ironie, die meiner entspricht, und die wollte ich im Film bewahren. Wenn die Geschichte zu bizarr und unwirklich wird, kommen humorvolle und distanzierende Elemente hinein, die die Spannung abbauen und die Sache zum Laufen bringen.“
Was etwas irritiert an dem Film ist die Behandlung des zugrunde liegenden Themas der Mütterlichkeit, bzw. was Ozon zu diesem Thema am Ende des Film zu sagen hat. Ist die Mutter im Film durchgängig als recht selbstbewusster, durchsetzungsstarker und auch humorvoller Mensch inszeniert, kippt das am Ende. Dann stellt Ozon eine ziemlich überhöhte, fast mystisch wirkende Mutter im Einklang mit ihrer natürlichen Funktion als Mutter dar. Das ist eine sehr reaktionäre Reduktion von Weiblichkeit, die ihm sicher aus dem alten Feminismus-Lager eher übel genommen wird. Innerhalb der fantastischen Filmhandlung ist es aber wiederum ein legitimes Ende und funktionierendes Mittel, um diese vorherige, starke Pendeln zwischen Sozialrealismus und fantastischem Un-Realismus wieder zum Ruhen zu bekommen.