[Berlinale 2010] Tag 6

Gesehen am Mittwoch, 17.2.2010

Mein Kampf

Deutschland, Schweiz, Österreich, 2009 – Regie: Urs Odermatt

E9E14B61-6BDF-4417-863B-5FDAC9503C27.jpgAnders als all diese Psychogramme und fiktionalisierten aber historisch korrekten Zeitdokumentnachbildungen um Hitler ist der Film „Mein Kampf“ einfach mal eine Groteske, die die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lässt. Adaptiert von der gleichnamigen Theaterfarce von George Tabori, ist dieser Film keine historische Rekonstruktion von Hitlers Wiener Zeit, sondern eine Parabel vom Guten, das dem Bösen dient. Hat mich sehr an osteuropäisches Kino erinnert, in dem historischer Kontext und Kritik gern verklausuliert und überhöht wurde, um staatliche Zensur zu umgehen.

Parkour

Deutschland, 2009 – Regie: Marc Rensing

1302D88B-A7D7-4B0F-9FAE-73D92DF31114.jpgDer Extremsportler und Gerüstbauer Richie gerät in einen psychotischen Eifersuchtswahn, weil er denkt seine hübsche Freundin Hannah macht mit seinen zwei Freunden rum. Der Film baut auf ein paar coole Aufnahmen der Extremsportart „Parkour“, bei der es darum geht, sich die geistigen und körperlichen Voraussetzungen anzueignen, um jegliche Hindernisse, die sich einem in seiner Umgebung in den Weg stellen, effizient und sicher zu überwinden. Die Handlung des Film dreht sich nun um eine Hauptfigur, die zwar top im Parkourlaufen ist, aber bei der offenbar die Kraft des Geistes dem Körper hinterherhinkt. Ich nehme der Figur nicht ab, dass er wegen ein paar wenigen Stresssituationen derart die Spur verliert. Diese ganze Eifersuchtsgeschichte und die filmische Darstellung der Psychose ist recht konventionell umgesetzt, es gibt wenig Überraschungen.

Boxhagener Platz

Deutschland, 2009 – Regie: Matti Geschonneck

7602ADE8-D49A-4E90-BB69-6202BE83C675.jpgEin freundlicher Schauspielerfilm um einen Mordfall im Berliner Kiez rund um den Boxhagener Platz in der DDR der späten 1960er. Es ist weniger die Geschichte um den Mord, die den Film trägt, sondern es sind die kleinen Einblicke in ein Milieu, die den Film sehenswert machen. Mich persönlich interessiert dabei inzwischen nicht mehr so sehr, zum Wiederholten mal die Vielfalt des Babelsberger Requisitenfundus im Bezug auf das Alltagsleben der DDR vorgeführt zu bekommen. Das sind zeitgeschichtliche Oberflächigkeiten, die schnell ihren Schauwert verlieren, genauso wie man mittlerweile auch jede mögliche Kameraperspektive auf dem Set des Altberliner Straßenkiezes, in dem auch dieser Film gedreht wurde, langsam auswendig kennt. Spannend hier sind die Typen, die in ihrem ruhigen Kiezalltag agieren und nur mariginal von der Zeitgeschichte draußen in Westberlin und in Prag beeinflusst werden. Anders als „Sonnenalle“, oder „Good Bye, Lenin“ baut „Boxhagener Platz“ nicht auf die Komödiantisierung einer Popkultur-Ostalgie, sondern überzeugt durch Schauspiel und Dialoge. Eine schöne, treffende Kritik von Thomas Funke gibt es drüben bei critic.de.

Shekarchi

(The Hunter / Zeit des Zorns) – Deutschland, Iran, 2010 – Regie: Rafi Pitts

BC4DDD3E-BB30-47F5-BD39-D06E9175BC1D.jpgEin Teheraner Nachtwächter erfährt, dass seine Frau und seine Tochter bei einem Schusswechsel zwischen Polizei und Demonstranten ums Leben gekommen sind. Aus Rache tötet er wahllos zwei Polizisten und wird daraufhin seinerseits gejagt. Interessante Genre-Adaption in der Gegenwart Irans.

[Berlinale 2010] Tag 5

Folgend meine Berlinale-Filme vom Dienstag, 16.2.2010. Zufällig alles Filme, in denen soeben aus der Haft Entlassene die Handlung motivieren.

Schwerkraft

Deutschland, 2009 – Regie: Maximilian Erlenwein (Gewinner Max Ophüls 2010)

36548E2A-0866-40D3-B1C5-F926A8FB71F3.jpgDer Gewinner des Max Ophüls Preises 2010 ist fast ein deutscher „American Psycho“ – würde ich gern schreiben wollen. Aber der Film ist weit eigenständiger, um diese Behauptung halten zu können. Der Film erinnerte mich nur am Anfang an den sauber-blutrünstigen Psychopaten: Ein junger Bankangestellter entwickelt einen Hang zu Gewalt und Kriminalität nachdem sich vor seinen Augen ein Kreditkunde erschießt. Zufällig trifft er auf einen alten Freund, der gerade nach sieben Jahren aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Zusammen leben sie ihre dunkle Seiten aus, brechen in Häuser von Bankkunden ein und aus dem anfänglichen Kick der Grenzüberschreitung wird eine Gewaltspirale, aus der der Bankangestellte nicht mehr heraus kommt. Eine stringent erzählte Geschichte mit guten, auch lustigen Dialogen und rundum gut inszeniert. Man sieht dem Film das Spielfilmdebüt nicht an.

Danach ca. 20 Minuten „Wüstenblume“ gesehen. Schlimm gefunden, raus gegangen.

Im Schatten

Deutschland, 2010 – Regie: Thomas Arslan

D81EDF09-ED28-4398-AFD5-B72EB874A558.jpgTrotz seiner Ruhe ein sehr intensiver, spannender Film, der das Augenmerk auf die Längen eines Verbrecheralltags legt. Die Hauptfigur wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen und kehrt umgehend in sein kriminelles Metier zurück. Er besorgt sich eine Waffe und hält Ausschau nach neuen Jobs. Ich finde, der Programmtext der Berlinale trifft es ganz gut:

„Mit wenigen Einstellungen etabliert Thomas Arslan die anonyme Welt seiner Gangsterfigur, indem er auf die Motive und Figuren des Genre-kinos zurückgreift. Das Hinterzimmer einer Autowerkstatt, Parkplätze, möblierte Wohnungen. Man trifft auf Männer und Frauen, die einander misstrauen, weil jeder nur in die eigene Tasche wirtschaftet. Permanente Schauplatzwechsel, Observations- und Verfolgungsszenen sorgen für einen dynamischen Erzählrhythmus. Da für Trojan das Verbrechen Alltag ist, konzentriert sich der Film ganz auf die handwerklichen Aspekte einer Arbeit jenseits der Legalität. Die reduzierten und messerscharfen, mit einer Red-Kamera aufgenommenen Bilder heben die exakten Abläufe der Aktion hervor.“

Wenn der „Tatort“ so inszeniert wäre, würde ich immer „Tatort“ sehen. Wie komm ich drauf? Merkwürdiger Weise ist das Kriminelle im Deutschen Film so überbelastet mit Motiven und Klischees, das man selbst bei einem guten Verbrecherfilm immer wieder sich in einer Fernsehinszenierung wähnt. So ging es mir jedenfalls stellenweise, auch und obwohl der Film weit darüber hinausragt.

Winter’s Bone

USA, 2010 – Regie: Debra Granik

DE62C54F-AD45-4B62-B195-EE1397D2B808.jpgBislang ist dieser Film mein Berlinale-Liebling. In einer Blockhütte in den Wäldern der Ozark Mountains lebt die siebzehnjährige Ree mit ihren zwei Geschwistern und einer psychisch kranken Mutter. Ree sucht ihren Vater, der Crack herstellt, auf Kaution aus dem Gefängnis raus und untergetaucht ist. Doch die Suche gestaltet sich als schwierig, denn die Outlaw-Gemeinschaft in den Wäldern hütet ein Geheimnis. Der Film zeigt ein rurales Armutsamerika, eine Gemeinschaft mit ganz eigenen archaischen Gesetzen und ist dabei ein moderner Western. Dieses ländliche Armutsamerika wird aber nicht ausgestellt, sondern fungiert eher als dokumentarisches Setting. Es ist eine in der Wirklichkeit verankerte, klassische Geschichte um eine Heldin, die über sich selbst hinaus wächst.

[Berlinale 2010] Tag 4

Montag, 15.2.2010. Erster Berlinale-Blues tritt bei mir ein in Form einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der gesehenen Filme. Auch das ständige Rumgeschubse in den Warteschlangen trägt dazu bei. Aber das gehört dazu, das geht vorbei. Folgend die kurzen Eindrücke der Filme, die ich am Montag sah.

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[Berlinale 2010] Tag 3

Gesehen am Sonntag, 14.2.2010

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Waste Land

Großbritannien, Brasilien 2010 – Regie: Lucy Walker

Wenn man Menschen im Museum beobachtet, sieht man immer wieder, wie bei der Ansicht eines Gemälde der Betrachter seine Perspektive ändert: Mal geht man ganz nah ran und sieht die Textur und das Materielle des Bildes, mal geht man weiter weg, um das Ganze zu sehen. Auf diesem Prinzip basiert das in diesem Film dokumentierte Kunstprojekt von Vik Muniz. Unter der Anleitung von Vik Muniz erschaffen eine handvoll Menschen, die auf einer der größten Müllkippe bei Rio de Janeiro Müll trennen, ein außerordentliches Kunstwerk, indem sie Porträts von sich formen – im Müll, aus Müll. Mit dieser Arbeit verändert sich ihre Perspektive nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf die Welt. Interessant an dem Film fand ich die vielschichtige Auseinandersetzung mit visuellen und sozialen Perspektivwechseln. Aus dem Hubschrauber fotografiert sehen die Menschen auf der Mülldeponie aus wie Ameisen, begibt sich Vik Muniz auf den Erdboden ist er begeistert von der Menschlichkeit, die er vorfindet. Auf der anderen Seite begeben sich die Müllpflücker in eine neue gesellschaftliche Sphäre und für jeden bedeutet dieser Schritt auch ein anderer Blick auf das eigene Leben.

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Submarino

Dänemark, 2010 – Regie: Thomas Vinterberg

Düsteres Sozialdrama um zwei Brüder, deren Jugend bestimmt war durch Armut und einer alkoholabhängigen Mutter. Heute sind die Brüder erwachsene Männer. Nick ist Bodybuilder, trinkt und trainert hart und lebt in einem Wohnheim am Stadtrand von Kopenhagen. Der jüngere Bruder ist alleinerziehend und heroinabhängig. Alles was sein Leben bestimmt ist die tägliche Spritze und die Sorge, dass es seinem sechsjährigem Sohn einmal besser gehen soll als ihm. Beide Brüder leben in der selben Stadt nebeneinander her, ohne viel voneinander zu wissen, und doch suchen sie sich. Abgeleitet von einer Foltermethode ist der Titel des Film: „Submarino“ heißt die Prozedur, bei der der Kopf eines Menschen bis zur Erstickungsgrenze unter Wasser gedrückt wird. Und genau das macht Thomas Vinterberg mit seinen Figuren. Als Zuschauer ist man froh, wenn die beiden Brüder es mal eben so schaffen, sich über Wasser zu halten und ein wenig Luft holen können, bevor ihnen die nächste Niederlage wiederfährt.

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Orly

Deutschland, Frankreich 2010 – Regie: Angela Schanelec

Der Pariser Flughafen Orly dient als Raum für lose verbundene Szenen von Reisenden: Ein Mann und eine Frau, beide Exil-Franzosen, lernen sich zufällig kennen. Er hat gerade die Entscheidung getroffen, wieder nach Paris zu ziehen, sie sehnt sich dorthin zurück. Eine Mutter und ihr fast erwachsener Sohn sind unterwegs zur Beerdigung des Exmannes bzw. Vaters. Ein junges Paar macht seine erste große Reise. Und eine Frau liest einen Brief des Mannes, den sie vor kurzem verlassen hat. Alle warten auf ihren Flug. In aller Pragmatik gibt der Flughafen Räume von Intimität und die Situation des Transits ermöglicht eine Öffnung der Figuren zueinander und der Umgebung. Es ist eine schöne Sentimentalität und eine Abschiedsstimmung, die den Film bestimmt. Die Kamera beobachtet die Protagonisten mal nah, mal aus Entfernung. Das Spiel der Schauspieler mischt sich mit dem Realen des Flughafenalltags. „Orly“ ist ein gelungener Film. Bemerkenswert aber auch erneut, wie das Qualitätsempfinden von Filmen sinkt, wenn man danach die Filmemacher drüber reden hört.

[Berlinale 2010] Tag 1

Freitag. 12.2.2010

Der erste Berlinale Tag startete für mich am Freitagvormittag mit einem Workshop über Social Media für Filmemacher von FilmTiki. Ausgerichtet war der Workshop auf Filmemacher, die Interesse daran haben, ihr Produktionen über das Netz zu finanzieren oder zu vermarkten. Einführend wurde der TED-Talk von Seth Godin über Tribes und das Internet angesehen. Weiter ging es mit einer kurzen Vorstellung von Projekten, die entweder über Crowd-Funding ihre Filme produziert oder einfach Aufmerksamkeit für ihr Projekt generiert haben bis hin zum Viralen Marketing. Weiterlesen →

Film: A Serious Man

::: gesehen am 21.1.2010 OmU im Odeon

USA 2009 – Regie: Joel Coen, Ethan Coen – mit: Aaron Wolf, Richard Kind, Fred Melamed, Sari Lennick, Jessica McManus, Adam Arkin, Peter Breitmayer, Brent Braunschweig, David Kang, George Wyner, Fyvush Finkel, Michael Tezla

Den neuen Film der Coen Brüder habe ich gerade eben sehr genossen. Das war bei den letzten Coen-Filmen alles nicht mehr ganz so meins. Aber eben das, das war schön. Vielleicht lag es auch an den Umständen: Spontan und vor allem alleine ins Kino gehen, in die OV-Spätvorstellung, das hab ich lange nicht mehr gemacht. Früher, ja damals, als man noch … Aber heute? Nein! Neinnein, keine Zeit.

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Das Kind ist jetzt in dem Alter angekommen, in dem ich Kinder als ziemlich anstrengend empfinde. Eigener Kopf, Vieles wollen ohne zu können, argumentationsresistent, lärmend und unordentlich. Eine typisch Internetcommunitynutzerin, sozusagen. Nachwuchs eben und das bleibt jetzt die nächsten 30 Jahre so, vermutlich. Ich habe einfach noch nicht meine Überlebensstrategie angepasst. Die sind einem in ihrer Entwicklung ja immer eine Nasenlänge voraus. Aber immerhin mache ich jetzt meine Bierflaschen mit einem 8er-Duplo-Stein auf, denn mein Flaschenöffner ist Objekt der Begierde geworden und zum wiederholten mal verschwunden.

Wiederholter Versuch, konzentriert zu arbeiten, dabei wiederholt ablenken lassen, zum Beispiel mit der knapp einstündigen BBC-Doku „German Electronic Music History“. Noch ist Zeit und ich habe noch nicht den richtigen Hebel gefunden, den Stein ins Rollen zu bringen.

Ansonsten heute nachgedacht über die neue Blüte der TagebuchbloggerInnen. Dabei aber vielleicht nur ein klein bisschen Feuer gefangen.

Neues Open Source Road Movie: Der Geist der Biker



BMW K100 in Zentralrussland, originally uploaded by vebfilm.

Erinnert sich noch wer an den ersten deutschen Open Source Film „Route 66“? Nach vielen Jahren ist Anfang Januar ein neuer Road Movie vom Leipziger Open Source Film Netlabel VEB FILM erschienen.

Der neue Film von Stefan Kluge heisst „Der Geist der Biker“, ist etwas mehr als eine Stunde lang und eine ansehnliche, unterhaltsame Dokumentation über eine Ostexpedition eines sächsischen Motorradclubs, über die Flucht aus der Informationsgesellschaft und über den Sinn des Reisens. Der Film ist derzeit als Prerelease in einem Webfilm-Wettbewerb in kompletter Länge sehen und braucht auch Euer Voting! Ein Klick! Hoppla, Onlinevoting ist schon abgelaufen.

Gute, wie unterhaltsame Creative Commons-Filme sind immer noch sehr rar. „Route 66“ lief in den vergangenen Jahren immer wieder auf Open Source- & Free Culture-Events. Eigentlich wollte VEB FILM mit einem Science-Fiction-Film mit dem Titel „Die letzte Droge“ an den Debütfilm anschließen, doch der Film steckt noch immer in der Postproduktion.

Der Filmemacher Stefan Kluge vom VEB FILM Leipzig schreibt dazu:
Unser Science Fiction-Spielfilm „Die Letzte Droge“ hat sich inzwischen als eine Art persönliches Apocalypse Now entpuppt. Seit dem Abschluss der Dreharbeiten habe ich gut 3 Jahre fulltime reingesteckt; viel Lehrgeld bezahlt, viel gelernt und irgendwann beschlossen, dass wir den Film so lange postproduzieren, bis wir zufrieden sind. Nach so viel Fass ohne Boden tat es gut, mal wieder einen Film endgültig fertig zu stellen. Das hat mir auch wieder etwas Abstand gegeben, so dass ich jetzt hoffentlich mit Anlauf das Teil mit über die Ziellinie reissen kann.